Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte ich selbst keine Verbindung zu dem Gefühl Angst. Wenn ich von Menschen mit „irrationalen“ Ängsten, Angsterkrankungen oder Panikattacken hörte, konnte ich beobachten, wie mein Mind diese in eine eher abwertende Schublade sortierte. Ich konnte kaum Verständnis aufbringen und fand mich schnell in einer ablehnenden inneren Haltung wieder.
Mittlerweile weiß ich, dass meine Ablehnung im Außen auch die Ablehnung meiner eigenen Angst bedeutete. Die eigenen Reaktionen auf die Außenwelt können uns nur Erkenntnisse über uns selbst liefern und über niemand anderen. Durch ein Burnout und eine daraus resultierende Angsterkrankung änderte sich mein Bezug zu diesem Thema und mein Horizont erweiterte sich.
Lass uns einmal genauer hinschauen:
Warum gehen Menschen einem Job nach, der ihnen keine Freude bereitet? Wieso bleiben Menschen in oberflächlichen Beziehungen oder in solchen, die ihnen nicht guttun? Weshalb sagen Menschen einander nicht einfach das, was sie denken?
Aus Angst.
Angst ist ein Gefühl, so wie Trauer, Wut, Liebe, Verbundenheit. Ein Gefühl, das in jedem von uns existiert. In der englischen Sprache wird hier ein wichtiger Unterschied deutlich: Es wird zwischen der körperlichen Reaktion in einer akuten Gefahrensituation („fear“) und der aus Gedanken resultierenden, zukunftsorientierten Emotion („anxiety“) unterschieden.
Es gibt ganz offensichtliche Ängste, wie zum Beispiel in Situationen von Armut, Krankheit, Krieg oder in anderen lebensbedrohlichen Situationen. Auch gibt es Phobien, die sich auf bestimmte Objekte oder Situationen beziehen. Hier ist der Auslöser genauso offensichtlich.
Viel interessanter sind aber die vielen unterschwelligen Ängste, die uns alle im Alltag mal mehr oder weniger betreffen können – uns aber oftmals gar nicht bewusst sind. Da sie meist unmerklich mitschwingen und unser Leben beeinflussen, ist hier Achtsamkeit und Wachheit gefragt.
Dazu zählt die Angst vor
- Ablehnung
- gesellschaftlicher Isolation
- Veränderung
- Kontrollverlust
- Leid, Verletzung, Schmerz
- dem Tod
- der Angst
- …
Ebenso wie die Angst davor
- verlassen zu werden
- sich zu zeigen
- falsche Entscheidungen zu treffen
- seinen Lebensstandard nicht halten zu können
- zu versagen
- etwas zu verpassen
- sich zu blamieren
- …
Die Liste kann beliebig erweitert werden.
Wer behauptet, Angst nicht in seinem Leben zu haben, spürt sie schlichtweg nicht.
Als Mensch durchfließen uns ganz natürlich permanent abwechselnde Gefühle – und zwar die gesamte Bandbreite. Bei einem Baby ist das noch gut zu beobachten. Durch gesellschaftliche Konditionierung lernen wir, unsere Gefühle in „ungünstigen“ Situationen wegzupacken, uns also davon abzuschneiden. Deshalb nehmen wir sie oft gar nicht mehr wahr. Wann passen Gefühlsausbrüche schon in den Alltag?
Die Verbindung zur eigenen Angst kann verloren gehen, wenn du vor ihr wegläufst, sie unterdrückst, dich ablenkst oder gar nicht erst aus deiner Komfortzone gehst, um nicht direkt mit ihr konfrontiert zu werden. Am Verhalten von Menschen lässt sich erkennen, dass ihr Handeln und insbesondere auch ihr Nicht-Handeln zu einem beachtlichen Teil von Angst bestimmt ist.
Great things never came from comfort zones.
Missgunst, Eifersucht, Neid, Wut, Hass, Sorge, Zweifel, Gier – all diese Dinge entstehen aus einer Angst heraus. Und wer kann sich schon von all dem gänzlich frei machen? Alle Gefühle gehören zu unserem Leben und all das steckt in jedem von uns. Diese unangenehmen Gefühle und Gedanken, die wir alle haben, zu integrieren und als wichtigen Teil anzuerkennen, ist essentiell für ein Gefühl von Vollkommenheit und inneren Frieden.
Du bist nicht schuld.
Die eigene Angst zu unterdrücken, ist ein anerlernter Schutzmechanismus und keine bewusste Entscheidung. Im frühkindlichen Alter entstehen diese Mechanismen ähnlich wie Glaubensgrundsätze und bestimmen fortwährend unser Leben – wenn wir sie uns nicht bewusstmachen und sie nicht hinterfragen.
Es gibt viele verschiedene Ansätze, mit diesem äußerst unangenehmen Gefühl umzugehen. Grundsätzlich ist hier Annahme angesagt. Das heißt:
kein Weglaufen, kein Ablenken und vor allem keine (Selbst-) Verurteilung
Deine Angst ist da, um dein Überleben zu sichern, um dich zu schützen. Sie ist nicht gegen, sondern für dich. Erst durch die Verdrängung entsteht ein Konflikt. Wenn du gegen sie kämpfst, wird sie stärker. Wenn du sie als Teil von dir integrierst, wirst du stärker.
Es geht nicht darum, sich von Emotionen zu befreien, sondern inmitten aller Emotionen frei zu sein. – Buddha
Bevor es an den Umgang geht, ist es notwendig, die eigenen unterdrückten Ängste erst einmal klar zu haben und zu spüren.
Aber wie holt man Verdrängtes an die Oberfläche?
Das geht natürlich nicht einfach auf Knopfdruck.
Mit der Bereitschaft ehrlich hinzugucken und dich deinen Schattenseiten zu stellen, beginnt der Prozess.
Überprüfe, ob du in deinem Leben Dinge tust, die du eigentlich nicht tun möchtest. Zu denen du entweder keine Lust hast oder die nicht mit deinen Werten übereinstimmen. Und frage dich, wieso du diese Dinge dennoch tust. Stelle dir nach jeder Antwort immer weiter die „Warum“-Frage. So kommst du – wenn du ehrlich mit dir bist – deinen Ängsten auf die Schliche.
Ein anderes, offensichtlicheres Anzeichen für nicht gefühlte Angst ist das Grübeln und Gedankenkreisen.
Auch kannst du deine eigene Ablehnung bestimmten Verhaltensweisen oder Gefühlen von anderen gegenüber mal genauer unter die Lupe nehmen. Lehnst du hier wirklich etwas im Außen ab oder vielleicht auch oder sogar in erster Linie einen Teil von dir?
Verliere dich nicht in Theorien über Ursachen und Entstehungsgründe deiner Angst.
Diese Informationen sind ausschließlich für den Mind und gaukeln dir Wissen und damit eine Sicherheit vor – sie sind aber auch nur ein Konzept. Und damit mindestens irrelevant, wenn nicht sogar ein neuer Verdrängungsmechanismus. Es geht hier schließlich ums Fühlen. Angst als unangenehmes, aber eben dazugehöriges Gefühl zu erfahren, sie einfach da sein lassen zu können, ihr Raum in deinem Leben zu geben, das ist der entscheidende Punkt.
Es gibt hierbei einen wichtigen Begleiter: Geduld.
Auch das Annehmen unangenehmer Emotionen ist eine Übungssache. Mit Wachheit, Geduld und einer neugierigen Haltung wirst du Stück für Stück kleine und große Erfolge in deinem Leben erzielen. So kannst du dich ganz bewusst in herausfordernde Situationen begeben. Hier kommt für jeden etwas anderes in Frage.
Zum Beispiel kannst du dir vornehmen, radikal ehrlich zu deinen Mitmenschen zu sein und somit deiner Angst vor Ablehnung, Konflikt oder Ausgrenzung begegnen. Gibt es Situationen, in denen du der festen Überzeugung bist, hier besser nicht deine Gedanken offen zu kommunizieren? Untersuche diese Fallgestaltungen genau: Was glaubst du, passiert, wenn du hier ehrlich bist? Kannst du mit Sicherheit sagen, dass deine Gedanken dazu wahr sind und was wäre, wenn der Worstcase eintreten würde? Wovor genau hast du Angst? Beim Zu-Ende-Denken kommst du möglicherweise zu der Erkenntnis, dass du vor deinen eigenen Gefühlen – konkret vor deinen unangenehmen – Angst hast und wegläufst.
Diese Übung dient lediglich der Aufdeckung und damit der Annahme deiner unbewussten Ängste. Du brauchst natürlich nicht wirklich immer deine Gedanken ausplaudern. Manchmal reicht es, wenn du es dir in der Situation vorstellst und deine eigenen Reaktionen auf dieses Gedankenexperiment untersuchst.
Du kannst dich auch körperlich mit einer Kältetherapie, z.B. der Wim Hof Methode in der Annahme unangenehmer Gefühle üben. Alles über diese Methode findest du in meinen Blogartikel „Wie Breathwork und Kälte deinen Mind shiften & die Dusch-Challenge“.
Überfordere dich nicht mit deinem Training. Steigere den Schwierigkeitsgrad langsam und bleibe wach. Auch das Hineinstürzen in herausfordernde Momente kann eine Überkompensation und damit wieder ein Schutzmechanismus sein, der dir den Zugang zu deinen Gefühlen erschwert.
Bleib am Ball und let it shift.
Und vor allem wünsche ich dir lehrreiche Erkenntnisse bei deiner ganz individuellen Selbsterfahrung und wenn du magst, teile diese in dem Kommentarbereich weiter unten.
Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende. – Demokrit
Nun habe ich diesen Artikel nach einiger Zeit noch einmal gelesen, so wie ich auch ein gutes Buch manchmal nach einiger Zeit noch einmal lese.
Ich muss sagen: dieser Text gefällt mir wirklich ausnehmend gut. Wenn ich die Stellen zitieren wollte, die mir besonders gut gefallen, dann müsste ich fast den ganzen Text zitieren. Für mich liest es sich, wie ein Buch über die Angst in Kurzfassung. Das Wesentliche ist hier zusammengefasst. Richtig richtig gut.
Was ich ganz besonders aus diesem Text für mich herausziehe, ist die Erkenntnis oder besser gesagt die Erinnerung daran, dass es bei Angst nicht um das Theoretisieren sondern um das konkrete Fühlen geht. (Und damit könnte ich mit meinem Kommentar hier eigentlich aufhören xD)
Ich bin ein Mensch, der zum Theoretisieren neigt. Das ist manchmal ganz schön aber das Leben funktioniert so nicht. Das Universum wartet nicht darauf, dass wir eine Erkenntnis umsetzen, oder bereit dafür sind. Für Angst ist man freiwillig eigentlich niemals wirklich bereit. Denn bereit dafür zu sein, also quasi vor-bereitet, verhindert die Echtheit der Angst, das echte Fühlen. Und dies wiederum erinnert oder ermutigt mich dazu, (überraschend) auftretende Ängste einfach als Teil des Lebens anzusehen und anzunehmen.
Mit meinem Psychologen spreche ich sehr oft darüber, warum ich diese Therapie eigentlich mache. Geht es darum, aus der Vergangenheit zu lernen, um negative Erfahrungen in der Zukunft zu vermeiden? Ich halte das für unmöglich. Wenn ich eine Aufgabe geschafft habe, dann kommt die nächste. Keine dieser Lebensaufgaben kommt ohne irgendwelche Ängste daher. Es sind immer neue Ängste, und wenn ich die alten geschafft habe, kann ich die neuen Ängste damit vermeiden? Nein, dann kommen eben neue Aufgaben und neue Ängste. Oder die alten Ängste kommen in einer neuen Form.
Ich ERLEBE es auch genau so, dass ich Ängste ganz grundsätzlich nicht vermeiden kann. Aber darum geht es auch nicht, sondern es geht darum – genauso wie es oben steht – um das Annehmen und Integrieren in das eigene Leben. Es geht sozusagen um das Liebhaben der Ängste. Aber selbst das verhindert nicht, dass neue Ängste erscheinen.
Und mit dieser Erkenntnis, finde ich, lebt es sich deutlich leichter. Ich erkenne an, dass Ängste zum Leben dazu gehören. Ich KANN sie nicht vermeiden.
Und damit bin ich automatisch und folgerichtig bei der Erkenntnis angelangt, so wie es oben auch schon steht, dass ich Ängste für meine eigene Weiterentwicklung nutzen kann. Ich kämpfe nicht mehr gegen sie an, sondern ich schaue (so gut ich es jeweils schaffe) genau hin, was will mir diese Angst sagen? Welches Geschenk ist darin versteckt?
Wim Hoof (Eisbaden) sagt: Kälte ist nicht dein Feind.
Anika sagt: Angst ist nicht dein Feind.
Genauso ist es.
Das Leben meint es gut mit dir (mir).
Das ganze Universum ist auf meiner Seite. Und Gott verzeiht mir nicht, weil er mich gar nicht erst verurteilt.